Tasting-Berichte sind unausweichlich, auch auf meinen Seiten hier. Aber oft staune ich, was alles die Sinnesorgane immer wahrgenommen haben wollen. Es liest sich immer toll, wenn von einem Hauch von Honig, einem leichten Gruß der Mandel oder dem gaumenkitzelnden Touch einer Zitrusblüte (erfundene Zitate, Ähnlichkeiten sind beabsichtigt, Kopien unbeabsichtigt) die Rede ist. Wenn sich die Nase durch die Gewürzmärkte des Vorderen Orients oder dem Garten Eden schnüffelt. Und der Abgang, also das Herunterrinnen des Getränks in die Kehle, Aromen ungeahnter Sinnlichkeit verströmt.
Ja, man kann alles erriechen und herausschmecken. Aber man muss nicht. Denn so ein Tasting erhebt den Geschmackstests eines Gins zur wissenschaftlichen Doktorarbeit, ist immer zu genau, zu detailverliebt, um letztlich nur eine Aussage darüber zu treffen, worauf es bei einem Gin ankommt: den Genuss. Dafür reichen eigentlich zwei oder drei Worte – "schmeckt mir" oder eben "schmeckt mir nicht", wobei wir die Variante "mir egal" mal außen vorlassen. Entscheidend ist vor allem das Wort "mir", denn bei den ganzen Tastings geht es nie um eine allgemeingültige Aussage, sondern immer die ganz persönliche, individuelle Meinung des jeweiligen Testers. Und der kann man sich anschließen oder auch nicht.
Aber: Die Wertungen hier auf meiner, aber auch bei allen anderen Internet-Seiten, in gedruckter Form oder in Bild- und Tonbeiträgen, sind eine wertvolle Orientierung für die, die sich auf Gin neu einlassen möchten - und Hinweise für Gin-Liebhaber, welche interessanten Sorten es noch zu entdecken gilt. Selbst Gins, die auf der einen Seite einen absoluten Verriss erhalten, sollten nie achtlos auf die Seite geschoben werden, weil es eben eine individuelle Meinung ist. Und man darf auch nicht vergessen: Was an einem Tag besonders toll schmeckt, ist eine Woche später nur fade. Das kennt jeder, der aus seinem Urlaub ein neues Lieblingsgericht mitgebracht hat und in den eigenen vier Wänden feststellt, so dolle ist das doch nicht.
Aber es gilt auch: Geschmacksnerven kann man trainieren, Geruchsnerven auch. Talentierte Menschen können diese Fähigkeit sogar beruflich als Sommelier oder Parfumeur einsetzen und sich entsprechend ausbilden lassen. Wer etwas genauer in die Geschmacksanalyse des Gins einsteigen möchte, sollte ihn immer pur verkosten. Geht aber völlig neutral ran, lest nicht vorher, was andere dazu meinen und fühlt euch herausgefordert, die gleichen Aromen zu erriechen und erschmecken. Vertrau deiner Zunge, deinem eigenen Geschmack.
Zuerst gilt immer ein Blick der Flüssigkeit im Glas. Welche Farbe hat er? Dabei schön kreisen lassen und sehen, wie er den Glasrand innen herabläuft. Dann eine Geruchsprobe. Vor allem im direkten Vergleich zeigen sich schnell Unterschiede, ehe nach und nach die Nase "lernt", einen Geruch ein- und zuzuordnen. Der Mensch hat nämlich ein ausgezeichnetes Geruchsgedächtnis. Denn jeder verbindet bestimmte Gerüche mit ganz bestimmten Erinnerungen. Dann gilt es, einen Schluck zu nehmen und zwar soviel, dass man den Gin schön im ganzen Mundraum herumwandern lassen kann. Dabei stets prüfen: Wo entwickelt der Gin seinen Geschmack, wo schmeckt man den Alkohol? Platt formuliert: Brennt der Alkohol im Mundraum? Gar nicht? Und wenn ja: vorne auf der Zunge, an der Seite oder im hinteren Bereich? Wo entwickeln sich die Geschmacksaromen und vor allem, welche? Nach dem Herunterschlucken den Gin noch wirken lassen und den Aromen und dem Alkohol nachspüren. So lässt sich nach und nach erschmecken, wie ein Gin komponiert ist.
Mit der Zeit entwickelt jeder ein Gespür für den Gin. Sind Tastings deswegen Quatsch? Mitnichten. Denn gerade für Einsteiger sind sie ein wunderbarer Leitfaden, wenn man sich intensiv mit Gin (oder jedem anderen Getränk) auseinandersetzen möchte. Man bekommt im Schnellverfahren einen schönen Überblick über die Bandbreite. Auch erfahrene Gintrinker entdecken bei solchen Anlässen immer wieder neue Gins und lernen stets etwas dazu, weil doch jeder Destillateur anders vorgeht, Massenproduktionen einmal ausgeklammert. Vor allem aber sind sie eine wunderbare Gelegenheit, um im Kreise Gleichgesinnter einen fröhlichen Meinungsaustausch zu erleben. Aber zuviele Sorten sollte man bei einem Tasting auch nicht über die Zunge rollen lassen. Daher: Immer schön Maß halten und...